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Wasserstoff mit unserem umfangreichen Wissen im Bereich der Brennstoff-zellen
gelegt werden, von der Zellforschung bis hin zum Gesamtsystem.
focus: Bedeutet das, dass sich der Fokus von AVL Engineering weg vom
reinen Antriebsstrang und hin zum Gesamtfahrzeug bewegt?
Mario Brunner: Wir entfernen uns nicht vom Antriebsstrang, wir erweitern
unser Portfolio – und mittelfristig wird unser Angebot auch über das Fahr-zeug
hinausgehen. Das softwaredefinierte Fahrzeug von morgen wird eine
weitaus größere Bandbreite an Funktionen bieten. In diesem Sinne werden
wir uns technologisch weiter entwickeln, um diesen Anforderungen ge-recht
zu werden. Das ist außerordentlich wichtig für uns. Darüber hinaus
werden wir noch stärker in die virtuelle Optimierung der Entwicklung in-vestieren
– bis hin zur virtuellen Zulassung. Wir wollen so weit kommen,
dass wir Hardware-Tests im Fahrzeug oder auf dem Prüfstand wirklich
nur noch zur Verifikation nutzen und nicht mehr zur Fehlerfindung. Das
ist der nächste Schritt, an dem wir bei AVL bereits arbeiten. Hier gibt es
ein großes Potenzial, um Hardware-Loops zu reduzieren und Prototypen,
Zeit und Kosten zu sparen.
focus: Die Elektrifizierung der Mobilität verändert den Markt gewaltig.
Wo stehen wir im Moment?
Mario Brunner: Der Transformationsprozess ist in vollem Gange. Man muss
sich vor Augen halten, wie viele Jahre lang der klassische Antriebsstrang
konsequent optimiert wurde. Im Vergleich dazu beschäftigt sich die Indus-trie
erst seit sehr kurzer Zeit intensiv mit elektrischen Antrieben und steht
noch ganz am Anfang des üblichen Optimierungsprozesses. Die Optimie-rungsphase
hat gerade erst begonnen. Es wird sich noch viel verändern –
und das in relativ kurzer Zeit. Wir bei AVL sind in diesen Prozess stark
eingebunden und spielen eine aktive Rolle. Ich bin zuversichtlich, dass die
Automobilindustrie abliefern wird. Ich sehe in der Ladeinfrastruktur den
Engpass. Meiner Meinung nach sind die Geschwindigkeit und Stärke der
Umsetzung hier unzureichend.
Leider muss man auch sagen, dass wir in Europa ein Problem mit der Pri-märenergie
haben. Hier gibt es einen Bedarf, der meiner Einschätzung nach
zu einer schnellen Entwicklung der Wasserstofftechnologie führen wird.
Das wird auf jeden Fall im Bereich der Nutzfahrzeuge der Fall sein, aber
auch bei den Pkw gibt es Potenzial. Für uns bei AVL ist Wasserstoff von
großer Bedeutung, da wir uns seit Jahren mit dieser Technologie beschäf-tigen
und bereits über eine große Anzahl von Patenten verfügen.
Wir dürfen die bestehende Fahrzeugflotte nicht völlig vernachlässigen. Es
gibt noch ein großes Potenzial für CO2-Einsparungen bei Hybridanwen-dungen.
Obwohl ich ein Befürworter von Elektrofahrzeugen bin, würde
ich nicht zusehen, wie das Potenzial moderner Hybridanwendungen – ins-besondere
in Kombination mit E-Kraftstoffen – ungenutzt bleibt.
focus: Abgesehen von der Infrastruktur und der Primärenergie, welche
weiteren Herausforderungen sehen Sie derzeit auf dem Markt?
Mario Brunner: Im Moment ist der Chipmangel das vorherrschende Thema
und trifft die Branche sehr hart.
Meiner Meinung nach ist das aber
nur ein Vorbote von noch größe-ren
Herausforderungen auf der
Rohstoffseite. Studien zeigen, in
welchen Regionen und Themen
der Rohstoffmarkt in den nächsten
Jahren auf Probleme zusteuert. Das
sind Herausforderungen, die auch
mit großen Anstrengungen nicht
schnell zu lösen sind. Es wird de-finitiv
nicht nur Gewinner geben.
focus: Könnte ein Mangel an Res-sourcen
auch eine Herausforde-rung
für AVL darstellen?
Mario Brunner: Vielleicht kann man
sagen, dass das AVL Engineering
nur indirekt betroffen ist. Mit Blick
auf unsere Kerntätigkeit sehe ich
das aber relativ gelassen. Unser
Kapital ist nicht in teuren Produk-tionsanlagen
gebunden, sondern
in der Innovationsfreude unserer
Mitarbeiter. Wenn es um große
technische Aufgaben geht, können
wir aus einem riesigen Ideenpool
schöpfen. Wir haben Mitarbeiter,
die sich intensiv mit einem Produkt
auseinandersetzen. Und wir haben
auch einen guten Wissenstransfer
zwischen den Abteilungen. Das
bedeutet, dass bei speziellen Pro-jekten
auch Kollegen aus anderen
Bereichen einbezogen werden. Sie
werden mit Themen konfrontiert,
mit denen sie in ihrer täglichen Ar-beit
nicht so oft zu tun haben. Das
ist ein großer Gewinn und führt zu
echter Innovation.
focus: Sie beschreiben AVL gerne
als ein Wissensunternehmen. Was
meinen Sie damit?
Mario Brunner: Diese Innovation liegt
in unserer DNA. Nehmen wir als
Beispiel die Elektrifizierung. Hier
wenden wir immer wieder Metho-den
an, die ursprünglich aus dem
Bereich der Verbrennungsmotoren
stammen, in dem wir über die Jahre