7 Trends zur Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie
- Expert Article
Martin Rothbart
Senior Product Manager, Energy & Sustainability
Seit mehr als vier Jahren ist Martin für die Geschäftsentwicklung in den Bereichen Energie, Wasserstoff, alternative und synthetische Kraftstoffe sowie die Nachhaltigkeit im Produktlebenszyklus verantwortlich. Dazu gehören Vorhersagen und die Analyse des zukünftigen Marktpotenzials in verschiedenen globalen Regionen.
Dieser Artikel behandelt sieben Trends, die die Bemühungen der Automobilindustrie zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen verdeutlichen, indem sie sich mit Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette befassen und umweltfreundlichere Energiequellen und Produktionsverfahren einführen.
Im Mittelpunkt all unserer Aktivitäten steht der Weg in eine CO2-neutrale Zukunft. Viele Länder und Regionen haben bereits ihr Ziel der CO2 Neutralität erklärt. Die Europäische Union und Japan planen die Kohlenstoffneutralität für 2050, China für 2060 und Indien für 2070. Die Vereinigten Staaten haben sich das Ziel gesetzt, ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 % zu reduzieren. "Das "two-degree" Ziel von Paris bleibt in Reichweite", sagte Roger Pielke Jr., Professor für Umweltstudien im Journal Environmental Research Letters. Die Welt muss sich der Herausforderung einer tiefgreifenden Dekarbonisierung stellen, aber die CO2-Neutralität wird von anderen Randbedingungen und Faktoren beeinflusst.
Arbeiten zulasten Netto-Null-Emissionen
Die COVID-19 Pandemie sowie politische Konflikte haben gezeigt, wie fragil das globale Energieversorgungssystem ist. Die Energiesicherheit gewinnt in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung. Kurzfristig könnte dies im Widerspruch zu den CO2-Reduktionszielen stehen. Kohlenstofffreie Primärenergiequellen wie Solar- und Windenergie sind im Vergleich zu ihren fossilen Pendants aufgrund der täglichen und saisonalen Schwankungen weniger verfügbar. Die Energiewende wurde Teil des "Energie-Trilemmas", wie es der Vorstandsvorsitzende von BP Bernard Looney formulierte: Sichere und erschwingliche Energie zu liefern, wann und wo sie gebraucht wird, und gleichzeitig Investitionen in erneuerbare Energien und andere kohlenstoffarme Energielösungen zu erhöhen.
Wir müssen die Welt mit der Energie versorgen, die sie heute braucht. Und gleichzeitig müssen wir die Energiewende beschleunigen.
- Bernhard Looney, Chief Executive, BP
Arbeiten zugunsten Netto-Null-Emissionen
Umwelt- und Sozialvorschriften (Environmental Social Governance, ESG) sowie Systeme zur Besteuerung von und zum Handel mit Kohlenstoff setzen strengere Leitplanken für eine nachhaltige Zukunft. So regelt beispielsweise der Carbon Boarder Adjustment Mechanism (CBAM) der Europäischen Union die CO2-Besteuerung bestimmter Rohstoffe bei der Einfuhr in die EU ab 2026. Der CBAM und andere CO2-bezogene Vorschriften begünstigen ein globales Handelssystem für "grüne" Materialien.
Letztendlich sind wir ein Molekül-Unternehmen, kein Elektronen-Unternehmen.
- Darren Woods, Chief Executive, ExxonMobil
Aktuell importiert die EU über 57 % ihrer Primärenergie aus dem außereuropäischen Ausland. Dies wird auch in Zukunft der Fall sein, allerdings mit erneuerbarer Energie. Daher gibt es mehrere Pläne für Projekte zur Erzeugung erneuerbarer Energie in Regionen, die in hohem Ausmaß über solche verfügen (z.B. Nordafrika, Südamerika). Strom aus erneuerbaren Energien wird erzeugt und beispielsweise nach Europa geleitet. Einerseits gibt es die Pläne direkter Übertragung über Hochspannungsleitungen, die meisten Projekte zielen jedoch auf eine Umwandlung in Moleküle ab. Das heißt, mit dem erneuerbaren Strom werden Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe (E-Fuels) hergestellt. Der Langstreckentransport und die saisonale Speicherung von Energie basieren in der Regel auf Molekülen (Wasserstoff und E-Fuels).
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass in allen Sektoren, einschließlich der chemischen Industrie, ein großer Bedarf an erneuerbaren Energiekomponenten besteht. Eine Umwandlung von "grünen Elektronen" in Wasserstoff oder in einem zweiten Schritt in synthetische Kohlenwasserstoffe, liefert wertvolle Kohlenwasserstoffmoleküle außerhalb der Produktmolekülpalette von Verkehrskraftstoffen. Die Marktnachfrage aus verkehrsfremden Sektoren (insbesondere der chemischen Industrie) hat ein enormes Potenzial, die Mengen und Preise für synthetische Kraftstoffe für den Verkehr zu erhöhen. Im Verkehrssektor wird jeder verfügbare synthetische Energieträger zuerst dort eingesetzt werden, wo der Ersatz fossiler Kraftstoffe am schwierigsten ist, z. B. in der Luft- und Schifffahrt.
Erste Pilotprojekte in Südamerika, Nordafrika und Australien zeigen den dringenden Bedarf an Molekülen im zukünftigen globalen Energiehandelssystem. Wasserstoffbasierte Energieträger werden trotz der Umwandlungsverluste für die Energieverteilung über große Entfernungen entscheidend sein. Sie ermöglichen den Transport mit Schiffen oder Pipelines, wie in der heutigen fossilen Verteilungs- und Speicherstruktur.
Die Automobilindustrie ist es gewohnt, die Fahrzeugemissionen und die Antriebsstrangtechnologie im Hinblick auf die gesetzlichen Ziele zu verbessern. Dieser Ansatz könnte sich mit der Anwendung des Lebenszyklus-CO2e (CO2-Äquivalente) ändern. Die Automobilzulieferer verpflichten sich zu CO2e-Zielen und -Maßnahmen der Fahrzeughersteller. Für 2025 wird die CO2e-Kennzeichnung von Produkten, einschließlich der Berichterstattung über den CO2e-Wert auf Produktebene und der Anwendung von Schwellenwerten für den maximalen Fußabdruck, verbindlich vorgeschrieben. Langfristig werden die Hersteller den Austausch von CO2e-Daten mittels Energiemessung und verschlüsselter Datenübertragung verlangen.
Anforderungen an die Berichterstattung werden von CO2e-Reduktionsplänen und Roadmaps für jede gelieferte Komponente begleitet.
Die Strategie der Automobilhersteller für grüne Mobilität wird die CO2-Berichterstattung auf Produktebene viel früher vorschreiben als die EU-Verordnung.
- Martin Rothbart, Senior Product Manager, Energy & Sustainability, AVL
Um die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor weltweit zu begrenzen, müssen wir uns mit allen Aspekten der Automobilindustrie befassen, von der Produktion über die Nutzung bis hin zum Recycling. Die Rohstoffgewinnung und die Produktion eines batterieelektrischen Fahrzeugs verursachen wesentlich höhere CO2e-Emissionen als die Produktion eines konventionellen Fahrzeugs. Die Methoden zur Rohstoffgewinnung und die energieintensiven Produktionsschritte sind die Hauptfaktoren für den Fußabdruck in der ersten Lebenszyklusphase. In der Nutzungsphase eines batterieelektrischen Fahrzeugs (BEV) ergeben sich enorme Vorteile bei den Treibhausgasemissionen im Vergleich zu seinem konventionellen Pendant. Dennoch können Maßnahmen zur Effizienzsteigerung angewendet werden. Die meisten Beispiele in Veröffentlichungen konzentrieren sich auf das CO2e-Reduktionspotenzial der Batterie, da hier noch das größte Verbesserungspotenzial unter allen Komponenten besteht (vgl. Sams et.al., Design-to-CO2 am Beispiel der Entwicklung von Traktionsbatterien, MTZ 9/22). Aber auch andere Komponenten wie die elektrische Antriebseinheit (EDU) müssen Nachhaltigkeitsthemen adressieren und können daher zur CO2e-Reduktion im Lebenszyklus beitragen.
Durch die Erhöhung der E-Motordrehzahl mit einem Hochgeschwindigkeits-EDU-System können bis zu 33 % CO2e im Vergleich zu einem langsam laufenden Motorsystem eingespart werden.
- Wilhelm Vallant, Senior Product Manager Transmission Systems, AVL
Bei einem BEV mit einem Energieverbrauch von 18 kWh/100 km und einem EDU-Wirkungsgrad von 90 % kann eine Steigerung des EDU-Wirkungsgrads um 5 % über die gesamte Nutzungsdauer von 250.000 km fast eine Tonne CO2e einsparen. Am Ende der ersten Lebensdauer der BEV-Komponenten werden die Wiederverwendbarkeit, die Verwendung während der zweiten Lebensdauer oder die Recyclingoptionen stark beeinflusst, wenn geeignete Konstruktionsrichtlinien angewendet werden.
Ein zukünftiges bewährtes EDU-Konzept muss einem nachhaltigen Design entsprechen, um den CO2e-Fußabdruck zu reduzieren und die Effizienz im Lebenszyklus zu erhöhen. Für eine CO2-gerechte Gestaltung und eine Gestaltung für mehrere Lebenszyklen sind geeignete Methoden und Richtlinien erforderlich.
Wir sollten den Kohlenstoff-Fußabdruck jedes Unternehmens und den Kohlenstoff-Fußabdruck jedes Gebäudes und jeder Wohnung besteuern, um Anreize für die Menschen zu schaffen, ihren Kohlenstoff-Fußabdruck zu verringern.
- Philip Kotler, Amerikanischer Marketing-Autor, Berater und emeritierter Professor
Seit vielen Jahren zwingt die Globalisierung zur Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Löhnen. In Europa gibt es ein Nord-Süd-Gefälle bei den Arbeitskosten pro Stunde. Mit der Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer hat sich auch das CO2e-Aufkommen verschoben. In Ländern mit niedrigeren Löhnen ist der CO2e-Ausstoß in der Produktion ebenfalls tendenziell höher. Durch den Rücktransport der fertigen Waren in die Verbraucherländer wird das CO2e wieder "importiert".
Wenn die Automobilhersteller den Schwerpunkt auf die Verringerung des CO2e-Ausstoßes in ihrer Lieferkette legen, könnten länderspezifische CO2e-Fußabdrücke in Zukunft zu unterschiedlichen Preisen führen. Dies könnte zu einem umgekehrten Trend führen und eine Verlagerung der Produktion in Länder mit einem niedrigeren CO2e-Fußabdruck auslösen.
Dieser These folgend spiegelt die Grafik die CO2e-Intensität ausgewählter europäischer Länder wider. Schweden, ein Land höherer Lohnkosten, könnte in Zukunft ein attraktiver Produktionsstandort für eine CO2e-arme Produktion werden.
If you can't measure it, you can't manage it.
- Peter Drucker
Die CO2e-Bewertungs-Methodik wird sich in Zukunft weiterentwickeln. ESG- und CSRD-Verordnungen eröffnen bereits den Weg, den Anteil des gemessenen CO2e an den vorgelagerten Scope-3-Emissionen eines Unternehmens zu melden. Mittelfristig sollen alle wichtigen Produktionsschritte mit Energieverbrauchsmessungen ausgestattet werden, die in Echtzeit in CO2-Äquivalente umgerechnet werden. Die Messungen werden mit einem digitalen Zwilling verknüpft, um eine angemessene CO2e-Modellierung und eine energiebasierte Steuerung und Planung der Produktion zu ermöglichen. Durch die intelligente Kombination von Realweltdaten und Simulation werden die Iterationen reduziert, die zur Reduzierung von CO2e in der Produktion erforderlich sind.
Das in der Grafik dargestellte Beispiel bezieht sich auf das AVL Battery Innovation Center (BIC). Das BIC ist eine kleine Batterieproduktionsanlage für die Pilotfertigung sowie die Kleinserienfertigung von Batteriepacks. Alle Produktionsschritte sind mit Energiemessgeräten ausgestattet. Die Probenmessungen werden am Stapelroboter aufgezeichnet. Mit diesen Energiemessgeräten wird der Energieverbrauch als Primärdaten für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks des jeweiligen Fertigungsschritts verwendet. Die Daten werden übertragen und mit simulierten Daten zusammengeführt, um den CO2-Fußabdruck der gesamten Batterieherstellung zu bestimmen. Die gewonnenen Informationen werden zur Optimierung des CO2e in der Fertigung verwendet. Darüber hinaus werden sie für die nächsten Entwicklungsprojekte bereits in früheren Entwicklungsphasen als zusätzlicher Input verwendet.
Batterien, die auf unserem (EU-)Markt in Verkehr gebracht werden, müssen unabhängig von ihrer Herkunft nachhaltig sein.
- EU Commission Vice-President Maros Sefcovic
"Design-to-CO2e" als ganzheitlicher Ansatz im Rahmen des Systems Engineering bedeutet einen Übergang von der ursprünglichen Fokussierung auf "Design to Function" und "Design to Cost", wie sie auch in wertanalytischen Methoden oder Quality Function Deployment vertreten wird, zur zusätzlichen Dimension des CO2-Äquivalents über den Lebenszyklus. (Sams, C.; von Falck G.; Sorger H.: Cost Engineering as an Essential Part of Systems Engineering. In Systems Engineering für die Automobil-Antriebsstrangentwicklung. Schweiz: Springer, 2021). Bestehende Methoden und Werkzeuge aus Total Cost of Ownership und Life Cycle Costing können als Grundlage genommen und um die Dimension bzw. Währung CO2e ergänzt werden.
Diese Grafik zeigt somit ein idealtypisches Profil der CO2e-Beeinflussbarkeit, -Ermittlung und des tatsächlichen Auftretens über den Produktlebenszyklus eines batterieelektrischen Fahrzeugs unter der Annahme eines vordefinierten Energiemixes in der Produktions- und Betriebsphase. Dabei zeichnen sich die verschiedenen Entwicklungs- und Validierungsphasen (A-, B-, C-/D-Muster) durch ihr großes Potenzial aus, das tatsächliche Auftreten von CO2e-Emissionen in den Phasen der Produktion, der Nutzung und des End-of-Life zu beeinflussen. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem Engineering Dienstleister wie AVL gemeinsam mit dem OEM und seinen Wertschöpfungspartnern entscheidende Wettbewerbsvorteile erzielen können.
Die zentrale Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: Wie können wir unseren Einfluss maximal erhöhen, um CO2e im Lebenszyklus so schnell wie möglich zu reduzieren.
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Senior Product Manager, Energy & Sustainability
Seit mehr als vier Jahren ist Martin für die Geschäftsentwicklung in den Bereichen Energie, Wasserstoff, alternative und synthetische Kraftstoffe sowie die Nachhaltigkeit im Produktlebenszyklus verantwortlich. Dazu gehören Vorhersagen und die Analyse des zukünftigen Marktpotenzials in verschiedenen globalen Regionen.